Hey Veganer, Moral ist subjektiv!

Transkript

Gegen Kritik an Tierausbeutung argumentieren manche Menschen, dass Moral subjektiv ist und dass es quasi kein objektives moralisch richtig oder falsch gibt.

Leider funktioniert diese Aussage meist als Totschlagargument, mit dem Kritik oder die Auseinandersetzung mit dem Thema, gleich im Keim erstickt werden. Inhaltlich ist das aber durchaus erst mal richtig. Das sieht man daran, dass bis vor nicht allzu langer Zeit beispielsweise Sklaverei noch nicht als unmoralisch galt. Es war nach damaligen Moralvorstellungen völlig in Ordnung, dass Frauen weniger Rechte hatten als Männer und auch heute noch gilt Genitalverstümmelung an Kindern in vielen Teilen der Welt nicht als unethisch. Ethik ist also wirklich nicht in Stein gemeißelt sondern kann sich weiterentwickeln. Und das ist gut so.  Da Moral nicht vom Himmel fällt, braucht man eine Grundlage um entscheiden zu können, was richtig oder falsch ist.

Wenn man die vermeintliche Grundlage dann hinterfragt und nicht bei „Ist-halt so!“ aufhört, sondern sich bemüht, auch die Grundlage der Grundlage der Grundlage zu ergründen, dann wird man sicherlich irgendwann bei einer Art Axiom ankommen, welches nicht letztgültig begründbar ist. Aber da sollte man natürlich trotzdem den Anspruch haben, dass das eine gerechte, sinnvolle, widerspruchsfreie und möglichst wenig willkürliche Grundlage darstellt.

Und vor allem Bedürfnisse, Interessen und Leid sind die Basis jeder halbwegs modernen Ethik.

So ist das auch beim ethischen Veganismus. Das ist eine Lebensweise die dabei auf einer sogenannten pathozentrischen Ethik basiert, also einer Ethik, die ausdrücklich das Leid zu einem zentralen Kriterium macht, weshalb der Veganismus da wesentlich konsequenter und weniger willkürlich ist, als andere Lebensweisen. Und für eine gerechte Ethik scheint es kaum einen sinnvolleren gemeinsamen Nenner zu geben, als das Interesse zu leben und nicht zu leiden. Bei Menschen erkennt man das mehr oder weniger bewusst auch als selbstverständliche Grundlage dafür an, wie man sie behandeln sollte.

Man hat also im Grunde schon ein ethisches System akzeptiert, in dem Leid, Bedürfnisse und Interessen eben nicht egal sind, sondern ganz entscheidende Rollen spielen und handelt auch danach oder gibt es zumindest vor. Wir können eigentlich auch gar nicht anders. Und da funktioniert es einfach nicht mehr, dass man die Beachtung und die Missachtung dieser Dinge als quasi gleichwertig verargumentiert und auf einen Moralrelativismus verweist, um zu argumentieren, dass Fleischessen nicht kritisiert werden kann.

Beispielsweise kann ich theoretisch nicht sagen, was das Ergebnis von 1+1 ist. Das könnte 2 sein oder 10. Das hängt von der Definition des Zahlenraums ab. Wenn ich mich aber in einer Situation befinde, wo ganz klar das Dezimalsystem die Grundlage ist und sich jeder darauf bezieht, wenn er rechnet -und nicht etwa das Binärsystem, dann ist „1+1=10“ nun mal falsch.

Und wenn Leid nicht egal ist, sind Leidvermeidung und Leidverursachung nicht relativ.

Innerhalb eines Systems kann man also mit harten Fakten und Logik, die nicht subjektiv sind, sehr wohl Widersprüche und Fehlschlüsse aufzeigen. Und auch wenn man der Meinung ist, dass Moral subjektiv ist, sollte die eigene Ideologie trotzdem logisch sinnvoll und widerspruchsfrei begründet werden können. Und je drastischer die Auswirkung einer Handlung umso überzeugender muss die Begründung sein. „Ich sehe das halt so.“ ist dabei so ziemlich die schwächste Begründung überhaupt. Bei Geschmacksfragen ist sowas auch völlig legitim. Tierausbeutung ist dabei aber etwas völlig anderes als beispielsweise Musikgeschmack. Dabei geht es buchstäblich um Leben und Tod.

Fakten und ethische Werte scheinen erst mal in unterschiedliche Kategorien zu gehören. Und natürlich ist es ein Fehler, aus dem Sein der Welt direkt ableiten zu wollen, dass sie auch genauso sein SOLLTE. Das Argument, dass Ethik ein schwammiges und höchst subjektives Feld ist, wird aber vor allem dann vertreten, wenn die eigene ethische Überzeugung in Frage gestellt wird. Tatsächlich kann man aber auch dort wissenschaftlich-rational zu hinreichend generalisierbaren moralischen Schlüssen kommen. Werte sind auch eine gewisse Art von Fakten, zum Beispiel über das Wohlbefinden bewusster Lebewesen. Warum haben wir im Normalfall Mitgefühl mit Menschen und oft auch anderen Tieren, aber nicht mit Steinen? Warum gibt es keine Steinschutzvereine und Steinschutzgesetze? Weil wir jeden, der auf so eine Idee kommt aus gutem Grund für irre halten würden. Steine können nicht leiden und sie haben keine Interessen. Und das ist einfach eine Faktenbehauptung -die theoretisch auch falsch sein könnte. Aber es ist keine rein subjektive Wertvorstellung.
Mit diesem Subjektivitäts-Argument vermittelt man mehr oder weniger explizit meist auch, dass man andere Menschen nicht verurteilt, so wie es Veganer vermeintlich tun. Das moralische Verurteilen wird dabei also als falsch angesehen. Allein das ist ja schon ein Widerspruch. Wenn es kein richtig oder falsch gibt, dann kann es auch nicht falsch sein, Menschen für Tierausbeutung zu kritisieren. Und wenn man dieser Kritik entgegenhält, dass es kein richtig oder falsch gibt, widerspricht man sich mit seinem eigenen Argument. Und mal angenommen, dass Veganer anderen tatsächlich ihre Meinung aufzwingen wollten, wie das oft behauptet wird, wenn man sich von Veganern kritisiert fühlt: Wie will man das als unmoralisch und falsch bezeichnen, wenn man vorher festgelegt hat, dass Moral subjektiv ist und es kein moralisch falsches Verhalten gibt. Man würde damit im Grunde auch jegliches Recht aufgeben, irgendetwas zu kritisieren oder als Unrecht zu bezeichnen, auch gegenüber sich selbst. Schließlich muss man anderen dann auch zugestehen, dass deren Handlungen niemals unethisch oder kritisierbar sein können. Wenn Moral subjektiv ist, dann doch nicht nur bei allen anderen.

Dieser Werterelativismus ist eine vorgeschobene Mogelpackung aus einer privilegierten  Situation heraus. Niemand vertritt so etwas wirklich konsequent. Jeder Mensch verurteilt irgendwelche Dinge und lehnt diese als unethisch ab. Und viele davon kompromisslos, unverhandelbar und nachdrücklich. Das sieht man dann meist auch sehr positiv und hält das für engagiert, mitfühlend und für einen lobenswerten Einsatz gegen Ungerechtigkeit, wenn es den eigenen Überzeugungen entspricht. Bei Veganern bemüht man allerdings einen Schein-Relativismus, mit dem man sich selbst den Anschein von Toleranz und Liberalismus verleiht, starke vegane Standpunkte hingegen als quasi-religiös, dogmatisch, fanatisch und intolerant darstellt.

Wir sind aber doch eigentlich überzeugt, dass es moralisch richtiges und falsches Verhalten gibt, auch wenn man mit so einer Aussage etwas anderes behauptet. Ob man immer das richtige erkennt, ist dabei natürlich noch die Frage. Aber dass es Handlungen gibt, die unethischer sind als andere würde niemand ernsthaft in Frage stellen. Wir versuchen ja quasi täglich mehr oder weniger bewusst genau diese Entscheidungen zu treffen. -ob nun bei uns selbst oder hinsichtlich der Handlungen anderer. Niemand würde doch ernsthaft akzeptieren, wenn jemand öffentlich erklärt, dass es nicht falsch ist, Kindern beliebig Leid und Gewalt anzutun oder sie verhungern zu lassen. Niemand würde fordern, dass man solche Überzeugungen oder Handlungen respektieren oder tolerieren müsste. Und jeder der ernsthaft so eine Aussage tätigen würde, würde sich den geballten Zorn der Gesellschaft zuziehen. Und das aus gutem Grund. Wer sind wir denn, dass wir an dieser Stelle neutral sein könnten, und so tun, als ob Leid überhaupt keine Rolle spielt. Niemand würde doch in so einer Situation behaupten, dass man nicht darüber urteilen dürfe wenn irgendwer Leid verursacht und dass das alles relativ ist. Und bei so ziemlich jedem anderen Diskussionsthema würde man sich auch in Grund und Boden schämen, solche Subjektivismus-Relativismus-Aussagen überhaupt nur anzudeuten. Aber wenn man es mit Veganern zu tun hat, sieht das gleich wieder ganz anders aus. Von denen fordert man ein, solchen vermeintlichen Relativismus zu akzeptieren, obwohl man das selbst in anderen Situationen auch nicht tut. Diese Einstellung hält eben nur so lange an, bis ein anderer eine ähnliche vertritt und man dadurch vermeintlich schlechter abschneiden würde. Da ist dann ganz schnell wieder vorbei mit der Relativität. Bis zum nächsten Veganer zumindest. Paradoxerweise wird Veganern gleichzeitig ja auch häufig vorgeworfen, dass sie sich mal lieber um die Kinder in Afrika kümmern sollen als um die Tiere. Und so schlecht dieses Argument auch ist: Auch das ist eine moralische Wichtung und zeigt, dass offenbar eben nicht alles moralisch gleich ist.

Die Frage, warum das eigentlich nicht egal ist, stellt sich allerdings kaum jemand bewusst. Speziell dann nicht, wenn man gerade das Gegenteil behauptet, obwohl man selbst nicht wirklich dran glaubt.

Aber wenn man sich das ernsthaft fragt, kann die Grundlage dafür nur in Interessen, Bedürfnisse und dem Wunsch nicht zu leiden liegen. Es gibt wohl keine menschliche Moralvorstellung die nicht auf irgend eine Weise letztlich auf diese Dinge zurückführbar wäre. Das Interesse nicht willkürlich behandelt zu werden, sondern mindestens gerecht, ist aber sehr universell für alle empfindungsfähigen Lebewesen und nachweislich nicht auf Menschen beschränkt. Wenn man dann aber trotzdem nur Menschen ethisch berücksichtigt, ist eine ziemlich willkürliche Festlegung die man auch Speziesismus nennt. Das ist dem Rassismus und Sexismus ähnlich, wo die Interessen und Bedürfnisse von Individuen missachtet werden, weil sie nicht einer willkürlich als ethisch relevant festgelegten Gruppe angehören sondern das „falsche“ Geschlecht oder die „falsche“ Hautfarbe haben. Beim Speziesismus haben die Individuen dann eben das Pech, leider der vermeintlich falschen Art anzugehören, weshalb ihnen Rechte und ethische Berücksichtigung verwehrt werden.

Dass Menschen nicht die einzigen Tiere sind, die nicht leiden wollen und leidensfähig sind, kann wohl von keinem Menschen mit einem Mindestmaß an Faktenwissen, Redlichkeit und Integrität heute noch ernsthaft bestritten werden. Natürlich kann man sich fragen, was genau Leid ist und wie es zu bewerten ist. Aber es wird leider oft versucht, zu argumentieren, dass Leid ein sehr schwammiger und kaum definierbarer Begriff ist, und dass man deshalb nicht objektiv mit Leidvermeidung argumentieren kann. Ganz leicht ist das natürlich nicht. Aber das ist es beispielsweise auch bei Gesundheit nicht. Auch dieses Konzept ist eher undefiniert und hat sich über die Jahre gewandelt. Es wird beispielsweise diskutiert, ob Altern als Krankheit betrachtet werden sollte. Früher war es völlig normal, dass Menschen 30 Jahre alt wurden. Heute werden wir über 80 und es würde niemand auf die Idee kommen, zu behaupten, dass es gesund ist, mit 30 eines natürlichen Todes zu sterben. Dass der Begriff Gesundheit offen für Überarbeitungen ist, macht ihn nicht gehaltlos oder egal. Sicherlich gibt es Grenzfälle und unterschiedliche Ansichten. Man kann trotzdem ganz klar unterscheiden, zwischen einer gesunden Person und einer toten. Es ist auch nicht trivial, festzulegen, was gesunde Nahrung ist. Aber nur weil es vielleicht mehrere richtige Antworten gibt, folgt daraus nicht, dass es keine falschen gibt, und dass es keinen Unterschied gibt, zwischen Nahrung und Gift. Das ist alles nicht subjektiv. Und genau so ist es bei Leid und bei der darauf basierenden Moral. Es ist also wichtig, dass wir uns eingestehen, was wir doch eigentlich schon wissen:  Es ist einfach nicht jede Meinung gleich richtig und nicht jede Handlung gleich gut. Und es gibt es auch in Fragen der Moral richtige und falsche Antworten. Und das hat immer auch etwas mit Fakten zu tun.
Um eine möglichst gerechte Ethik zu gestalten, gibt es ein wichtiges philosophisches Element in der Gerechtigkeitstheorie: den sogenannten „Schleier des Nichtwissens“. Kurz gesagt, weiß man bei dieser Überlegung nicht, als wer oder was oder wo man in einem zu entwerfenden ethischen System landen wird, welche Fähigkeiten man haben wird, welche geistigen, physischen und sozialen Eigenschaften, welche Neigungen und so weiter. Und dieser Umstand würde einen zwingen, das System möglichst fair zu gestalten, so dass es möglichst egal ist, wo man am Ende landet.

Der Schleier des Nichtwissens wird unter anderem auch auf Rasse und Geschlecht angewendet. Und es gibt auch keinen objektiven Grund, die Spezieszugehörigkeit davon auszuschließen. Schließlich ist der Kreis der Individuen die wir als ethisch relevant betrachten ohnehin stets größer geworden. -weil wir Moral und Ethik weiterentwickeln und dazulernen. Und dass Moral nicht absolut ist, sollte nicht als Rechtfertigung für den Status Quo dienen, oder als Schild um die eigenen Handlungen gegen Kritik zu immunisieren -sondern als Grundlage dafür, herauszufinden, wie man es besser und richtig machen kann.

Hey Veganer, euch fehlt Vitmain B12!
Hey Veganer, Menschen haben schon immer Fleisch gegessen!