Dank Veganern: Endlich Opfer!

Wer kennt das nicht? Alles ist doof und läuft schief und irgendwas passt einem nicht. Und irgendwer muss gefälligst daran Schuld sein – also irgend jemand anderes natürlich. Die Rede ist selbstverständlich vom deutschen Nationalsport, dem Herumopfern, umgangssprachlich auch kurz als Rumopfern oder Opfern bezeichnet. Bei dieser beliebten Trendsportart geht es darum, sich möglichst überzeugend als ein getretener Hund zu präsentieren. Als unterdrückt, diskriminiert und ganz allgemein total fies bevormundet. Professionelle Opfer werden in Deutschland schon fast wie Helden verehrt und es gibt unzählige ambitionierte Amateuropfer, die davon träumen, mal ganz oben mitjammern zu können. Im internationalen Wettbewerb ist Deutschland beim Opferrollen immer ganz vorn mit dabei.

Rumopfern ist auch ein beliebter Mannschaftssport. In der sächsischen Landeshauptstadt werden seit einiger Zeit regelmäßig die Amateur-Rumopferfestspiele abgehalten, wo vor allem das traditionelle rechtslastige Freistil-Rumopfern mit Fahnenschwenken begangen wird.

Herumopfern kann jeder.

Für ungeübte Rumopferer kann es zuweilen wie eine Herausforderung erscheinen, die passenden Umstände zu finden. Manchmal sind eben gerade keine unverschämten Asylsuchenden vorhanden. Einen Profi hält das natürlich nicht ab. Im Gegenteil. Geschickte Opfer wissen dies sogar zu ihrem Vorteil zu nutzen und sich schon prophylaktisch demonstrativ als Opfer zu präsentieren. Aber das ist fortgeschrittenes Herumopfern, welches lange Jahre intensives Training in Selbstmitleid, unbegründetem Stolz und Wir-gut-Die-böse-Weltanschauung erfordert.

Aber was tut ein weniger geübtes Amateur-Opfer, wenn keine humorlosen Genderwahn-Feminist*innen, die einem das liebgewonnene Alltagsdiskriminieren vermiesen wollen, greifbar sind und keine militanten Nichtraucher, die aus irgend einem Grund Karzinogene, die andere ausatmen, nicht inhalieren wollen, man aber trotzdem so gern unterdrücktes Opfer sein möchte. Nur keine Sorge: Wenn der Deutsche etwas kann, dann Gründe finden, warum ER das Opfer ist. Ganz klar: Rumopfern boomt. Und das Volk ist stets auf der Suche, nach der nächsten Opferrolle.

Ein paar Dinge gibt es für den ambitionierten Rumopferer zu beachten, damit dem selbstmitleidigem Betroffenheitsspaß nichts mehr im Wege steht. Zunächst muss man sich im Klaren sein: Hier geht’s um MICH! Um diese – nennen wir es – TATSACHE sicher zu stellen, gibt es einige einfache Verhaltensweisen, die von professionellen Selbstbemitleidern lange erprobt wurden aber auch für die angehenden Nachwuchsopfer leicht zu erlernen sind.
Ganz besonders im Trend ist derzeit die Rolle als Veganer-Opfer. Diese ist auch für Einsteiger hervorragend geeignet. Aber auch für Profis gibt diese Variante sehr viel her. Und das aus gutem Grund. Veganer-Opfer werden, ist selbst für Laien ganz einfach. Dazu muss man nicht viel Nachdenken. Im Gegenteil, das würde nur stören. Herumopfern ist eine Sportart, die man aus dem Bauch heraus betreibt. Um schnell, souverän und erfolgreich zu sein, darf nicht der Fehler begangen werden, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen, Fakten zu prüfen, sich in andere Standpunkte hineinzuversetzen oder so ein Hippie-Scheiß. Hinterfragen ist zeit- und denkaufwendig, und kann einen dadurch ganz schnell die Führung kosten. Und bevor man zum weinerlichen Wehklagen ansetzen kann, ist schon ein weniger grüblerischer Wettbewerber an einem vorbeigeopfert. Das sind Anfängerfehler mit denen man sich leider sehr schnell selbst disqualifizieren kann. Doch diese lassen sich mit ein wenig Übung leicht vermeiden.

Aber, aber…

Ein guter Zug für den Einstieg ist die beliebte, sogenannte „Aberade“, eine Finte, die beispielsweise sehr populär ist in Varianten wie:

Natürlich sollte man Flüchtlingen helfen ABER…
Ich bin auch für Gleichberechtigung ABER…
Ich hab‘ ja nichts gegen Schwule ABER…

Und auch beim Thema Veganismus ist die Aberade besonders vielfältig einsetzbar.
Sätze wie: „Ich bin auch gegen Massentierhaltung“, „Ich esse auch nur ganz wenig Fleisch“, „Ich bin ja auch tierlieb“ wiegen den Opponenten in einer trügerischen Sicherheit, nur um diesem dann mit einem schwungvollen und unerwarteten ABER geschickt den Wind aus den heißluftig aufgeblasenen Besseresser-Segeln nehmen.
Man präsentiert sich zudem, ohne tatsächlich irgendwas getan zu haben, als engagiert, kritisch, reflektiert und gemäßigt, während DIE Anderen es natürlich immer übertreiben müssen. Opfer von militanten Fanatikern zu sein, bringt Bonuspunkte in der B-Note.

Aber Vorsicht: Die Aberade hat in letzter Zeit aufgrund ihrer Einfachheit und Beliebtheit einiges an Überraschungspotential verloren.

Das grobe Verallgemeinern.

Kein gutes Profiopfer kommt ohne Verallgemeinerungen aus. Und bei Veganern ist das natürlich das „Essverhalten“. Klingt gut, oder? Schön einfach und klar. Einfach jede Ernährungsform völlig ohne Beachtung ihrer Details und Konsequenzen als Ernährungsform gleich zu wichten, macht das Rumopfern leicht. Genau wie Kinderschlagen eine Erziehungsform und Diktatur nur eine Regierungsform ist. Das kritisiert ja auch keiner. Nur Leute, die sich über political correctnes profilieren wollen. Wie die Buddhisten zu sagen pflegen: „Alles ist eins!“ – einem richtigen Herumopferer sowieso – außer die Dinge, die einen selbst betreffen natürlich. Gleichgültig darf man nur allem anderen gegenüber sein, wenn man es als Opfer zu etwas bringen will. Geht es um die eigenen Belange, muss man sich als entschlossener Kampfempörer beweisen.Herumopfern für Anfänger

Eine gesunde Verallgemeinerung bildet eine äußerst solide Grundlage: Empfindungsfähige Lebewesen töten? Ressourcenverschwendung? Regenwaldabholzung? Ignorieren! Essverhalten! Hunde und Katzen? Kannibalismus? Essver… Ok, das ist was anderes. Wegen Gründen und so. Ist halt so. Sollte man in solche Situationen kommen, wo der eigene vorgeschobene Relativismus einem um die Ohren zu fliegen droht, ist es wichtig, sich schnell wieder aus diesen herauszuempören. Dazu empfiehlt sich meist, der ebenfalls dem Zen-Buddhismus oder so nem Kram entlehnte Vorwurf, andere nicht verurteilen zu dürfen. Es gibt nur ein einziges Wesen, welches das Recht hat über Menschen zu urteilen: Ein Wesen von großer Weisheit, Weitsicht und Unfehlbarkeit. Ein Wesen voller Gerechtigkeit und Güte: Man selbst! Natürlich ist der ganze Opfersport zwar auf der Grundlage des „Verurteilens“ aufgebaut, aber wichtig ist dabei, sich vor Augen zu halten, dass man nur selbst urteilen darf. Das Verurteilen darf man beispielsweise verurteilen. Man selbst nur, wie gesagt. Das gilt nicht für die Anderen. Das ist was anderes.

Die Taktik der Vorwurfsanprangerei widerspricht zwar oft den in der Aberade verwendeten, eigenen, anprangernden Einleitungen wie „Ich bin auch gegen … [irgendwas, wo von der Gesellschaft gerade erwartet wird, dass man es doof findet]…“, aber mit ein wenig Entschlossenheit bekommt man das locker durchgenörgelt, ohne dass es irgendwem – inklusive einem selbst – auffällt.

Das grobe Verallgemeinern hilft einem auch dabei, die Dinge, die einen erst so richtig opferisch machen, auch als das zu bezeichnen, was sie gefälligst zu sein haben.
Einige grundlegende Beispiele:

Verteilungsgerechtigkeit = Die wollen uns was wegnehmen!
Kritisieren schädlicher und leidverursachender Handlungen = Gutmenschendiktatur!
Konsequenz = Fanatismus!
Kritik (an einem selbst) = Hetze!
ethische Grundsätze = dogmatische Sektenideologie
Veggie-Day = nationalsozialistischer Eintopfsonntag
eigene Gleichgültigkeit = Toleranz

Feindbildnerei

Das Verallgemeinern mittels Aussagen wie „Veganer wollen nur…“, „Veganer sind…“, „Veganer haben…“. erleichtert ganz entscheidend das wichtige Strohmannschlagen, also das unerlässliche verbale Einprügeln auf das, was man geneigten Zuschauern als seinen diktatorischen Unterdrücker präsentieren möchte. Dazu ist es hilfreich, geschickt Aussagen missverstehen, und Motive wie Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit zu unterstellen, sowie ganz allgemein alles so zu interpretieren, wie es in das Feindbild der Wahl passt.  Ein gepflegtes Feindbild ist sehr wichtig, denn Rumopfern ist ein Sport, den man nicht allein betreibt. Man braucht einen Gegner, vorzugsweise eine ganze Gruppe, Randgruppe am besten, die man – hat man sie sich erstmal zum Feindbild der Wahl erkoren – über einen Kamm scheren und ihnen Motivationen wie Selbstgerechtigkeit, Dogmatismus, Naivität und anderes unterstellen kann, von denen man überzeugt ist, dass es nur daran liegen kann.  Natürlich darf man keinesfalls den Fehler begehen, Motive wie Verantwortungsbewusstsein,  Leidminderung oder gar Altruismus zu unterstellen. Dies hat schon manchen Sportsfreund die mühsam erzeterte Opferrolle gekostet. Die! Ganz klare, eindeutige Gegner, auf die man mit dem geübten Anschuldigungsfinger zeigen kann. DIE Antifanten. DIE Feminazis. DIE Veganer. DIE linksgrünversifften Gutmenschen-Weltverbesserer-Öko-Sekten-Terroristen-Nazis. Viel Feind, viel Opfer!

Klassiker: Nazivergleiche

Wenn man als richtiger Opferchampion hervor gehen möchte, gibt es eigentlich nur eins: Man muss sich selbst mit möglichst tragischen, echten Opfern der Menschheitsgeschichte auf eine Stufe stellen: Etwa von Terror-Organisationen wie den Taliban oder ISIS. Fleischessen zu kritisieren und Fleischesser zu enthaupten ist ja im Grunde das Gleiche! Aber besonders effektiv ist es natürlich, sich mit den Opfern des Nationalsozialismus gleichzusetzen, wenn man kritisiert wird. Das mag für den ungeübten wie ein schier unmögliches Unterfangen wirken, aber es gibt kaum ein effektiveres Mittel auf dem Weg zum begehrten Opferstatus, als sich als Unterdrückter einer quasifaschistischen Herrenrasse zu gerieren. Mit genügend Selbstbewusstsein lässt sich behaupten, dass Kritik an den eigenen Handlungen vergleichbar damit ist, in ein Vernichtungslager gesteckt zu werden. Zwar ist diese eine wirklich anspruchslose Taktik, aber durchaus effektiv und aus diesem Grund in der Opfer-Community der vielleicht beliebteste Zug.

Wenn man diese Tipps beherzigt, ist man bereits auf dem besten Weg, den Traum vom ultimativen Opfer (sein) wahr zu machen. Und dorthin kann man bereits mit diesem Text hervorragend aufbrechen:
„Ihr Veganer seid doch immer die, die rumflennen, weil ihr die Viecher vermenschlicht! Aber uns vorwerfen wollen, wir würden uns als Opfer aufführen…“
Herzlichen Glückwunsch, ein großartiger Einstieg in einen grandiosen Sport!

Studie: Fleischkonsum verursacht Psychokarnismie
Depressive Nicht-so-richtig-Veganer und relativistische Quantenmeinungen