Hey Veganer, ich esse auch nur ganz wenig Fleisch! (vom Metzger meines Vertrauens)

Transkript

Viele Menschen erklären ja, dass ihnen das mit dem Veganismus zu aufwändig ist, weil man immer drauf achten muss, was man isst. Dabei scheinen sie das doch ohnehin schon zu tun. Denn wenn man vegan wird, ist meist das erste was man -ohne je gefragt zu haben- erfährt, dass nahezu alle anderen Menschen auch nur ganz wenig Fleisch essen und darauf achten, wo es her kommt und dementsprechend nur beim Fleischer ihres Vertrauens kaufen, wo sie sicher sein können, dass es den Tieren gut ging. Und natürlich zahlen sie für gutes Fleisch auch gern etwas mehr -was auch interessant ist, denn über vegane Produkte wird regelmäßig gesagt, dass sie zu teuer seien.

Jedenfalls kann man sich sicher sein, dass beim Thema Veganismus von ganz vielen Menschen sofort reflexhaft klargestellt wird, dass sie auch nur ganz wenig Fleisch essen. -also außer jetzt vielleicht mal bisschen Wurst oder Aufschnitt… oder Sachen die auf der Pizza und in Fertiggerichten sind und sowas… oder halt mal ein Leberwurstbrötchen zwischendurch. Oder wenn mal im Restaurant isst… oder bei Freunden… oder zu Veranstaltungen… oder unterwegs mal einen Döner, oder eine Currywurst -oder jetzt in der Kantine auf Arbeit. Da gibt’s ja meistens auch keine vegane Option. Das wäre ja auch Missionierung und Nahrungsdiktatur wenn wir mal ehrlich sind. Da isst man halt mal das Schnitzel. Das besteht eh zur Hälfte aus Brot. Und es muss ja auch nicht immer was mit Fleisch sein. Spaghetti Bolognese ist schließlich auch lecker… da ist nur bisschen Hack drin. Oder man isst statt Fleisch einfach mal etwas Geflügel. Das ist ja eher eine Art Salat. Oder einfach mal Fisch essen. Fische sind ja Kaltblüter -so ähnlich wie Gemüse. Und ab und zu nimmt man halt auch ausnahmsweise mal beim Lidl ein paar Bouletten und ein paar Wiener mit, wenn man da eh schon mal vorbei kommt …

Natürlich gibt es auch Menschen die tatsächlich wenig Tierprodukte essen. Und wenn sie das noch weiter einschränken wollen, dann ist das ja schon mal ein guter Ansatz den man unterstützen sollte. Aber die bloße Anwesenheit eines Veganers veranlasst so viele Menschen dazu, sofort ausdrücklich zu betonen, dass sie auch nur ganz wenig Fleisch essen -und auch nur vom ominösen Metzger des Vertrauens oder vom Onkel mit dem Bauernhof, dass das statistisch einfach überhaupt nicht stimmen kann.

Interessant ist dabei zunächst mal auch schon die häufige Formulierung: „AUCH nur ganz wenig Fleisch.“ Damit solidarisiert man sich ja schon mal mit der Ansicht, dass weniger Fleischkonsum besser ist. Ganz wenig ist offenbar das Beste. Aber gar kein Fleischkonsum ist dann auch wieder extrem.
Die richtige Menge Fleisch -auch bekannt als „nur ganz wenig“ ist dann in der Regel gerade die Menge, die man selbst zu konsumieren glaubt. Alles andere ist zu viel oder zu extrem.
Menschen vergleichen sich und ihre Handlungen ja gern. Speziell auch, wenn sie sich für etwas rechtfertigen wollen. Wenn es jemanden gibt, der es schlechter macht, wirkt das eigene Handeln schon besser. In diesem Fall sind das dann also gedankenlose Massentierhaltungsfleischesser die beim Discounter kaufen, also die anderen -und die, die gar keine Tierprodukte essen, also die extremen Veganer.

Aber wenn Menschen Veganern erklären, dass sie auch nur ganz wenig Fleisch essen, dann liegt das in der Regel auch daran, dass sie auf einer gewissen Ebene Tierquälerei und unnötiges Töten eigentlich ablehnen Jedoch handeln sie an gewissen Stellen nicht wirklich danach und versuchen deshalb mehr oder weniger unbewusst, diese Handlungen irgendwie zu rechtfertigen und zu erharmlosen.

Die Behauptung, auch nur ganz wenig Fleisch zu essen, kommt dann ähnlich reflexhaft, wie etwa auch die Aussage, dass Veganer auch keine besseren Menschen sind. Und sie hängt auch damit zusammen. Veganer wollen in erster Linie Tierleid verhindern. Wenn man also gegen den Veganismus argumentiert, findet man sich schnell auf einer Seite wieder auf der man unnötige Gewalt, Leidverursachung und Tötung für egoistische Motive rechtfertigt, was keine besonders angenehme Situation ist, weil es nicht zu dem positiven Bild passt, welches man gern von sich selbst haben möchte. Deshalb versucht man zu relativieren -auch sich selbst gegenüber. Wir Menschen sind leider enorm gut darin uns selbst was vorzumachen. Und wenn wir an Fleisch denken, dann denken wir im Wesentlichen an rohes unverarbeitetes Fleisch das man beim Fleischer kauft und selbst zubereitet. Und das tun die meisten Menschen anteilig tatsächlich nur selten. Der oft viel größere Anteil des Fleisches das man isst, wird meist nicht wirklich als Fleisch wahrgenommen, wenn es nicht gerade als fettes Steak auf dem Grill liegt. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass wir aus fühlenden Lebewesen Produkte machen, bei denen so etwas wie charakter, Persönlichkeit, Bedürfnisse, Interessen und Emotionen ausgemerzt wurden.
Der Durchschnittsdeutsche isst 60 Kilo Fleisch im Jahr. 15 Kilo Fisch noch nicht mitgerechnet. Rechnet man Vegetarier und Veganer raus, sind das pro Fleischesser natürlich noch mehr. Selbst die nicht gerade veganerfreundliche und recht konservative Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal 15-30kg im Jahr. Der Deutsche isst also im Schnitt ungefähr das Dreifache der Empfehlung. Und bei der Empfehlung geht es noch nicht mal um Ethik und Umweltschutz sondern nur um Mengen die gerade noch gesund sind.

Manche Menschen argumentieren zumindest, dass man ja Biofleisch kaufen KÖNNTE, ohne zu behaupten, dass sie das tun. Es wird nicht gemacht, aber allein die Aussage dass es theoretisch vermeintlich ginge oder irgendwer das irgendwo vielleicht wirklich so macht, oder die Vorstellung dass es irgendwo ein glückliches Schwein gibt, das aber trotzdem gern sterben will, reicht in der Regel schon für die eigene Rechtfertigung. Wir Menschen beurteilen andere meist nach ihren Taten und uns selbst nach unseren Absichten.

Aber der Unterschied zwischen Bio und konventioneller Haltung ist in den meisten Fällen ohnehin nicht groß und der größte Nutzen von Bio-Fleisch-Labeln oder Tierwohlsiegeln ist die Beruhigung des Verbrauchergewissens. Der größte Teil von Bio-Tierprodukten stammt jedenfalls auch aus Intensivtierhaltung. Bio ist nämlich nicht das Gegenteil von Intensivtierhaltung sondern kann auch eine Form davon sein. Aber auch bei bio kommt Fleisch immer von empfindungsfähigen Lebewesen, die fast alle auf Höchstleistung gezüchtet wurden, von ihren Familienmitgliedern getrennt, in ihrem Bewegungsverhalten und ihren Bedürfnissen eingeschränkt und meist noch im Kindsalter geschlachtet werden. Der Marktanteil von Freilandhaltung ist gering und hat meist auch wenig mit idyllischer, bäuerlicher Romantik zu tun, so wie uns die Werbung das gern präsentiert.

Am Leid für die Tiere, der Belastung der Umwelt, der Verschwendung von Ressourcen und den Gefahren von Zoonosen und Antibiotikaresistenzen ändert sich im Allgemeinen sehr wenig.
Biofleisch hat einen Marktanteil von nicht mal 2% und 9% der Bio-Umsätze laufen über „Händler des Vertrauens“, also über Wochenmärkte, Hofläden oder Metzgereien.
Wenn man diese Zahlen mal grob zusammenrechnet und annimmt, dass die 9% bio auch auf Fleisch zutreffen, dann sind von den 1,2 Kilo Fleisch, die der Deutsche in der Woche isst, gerade mal 25 Gramm Biofleisch. Und davon stammen dann 2,25% aus vermeintlich „Vertrauenswürdigen Quellen“.
Konsequent nur Tierprodukte aus solcher Haltung zu konsumieren wäre in den meisten Fällen viel schwieriger (und teurer) als vegan zu leben.

Aber wodurch verdienen Metzger eigentlich dieses vielzitierte Vertrauen? Weil es immer gut geschmeckt hat oder weil sie freundlich sind? In der Regel wird man einfach mal annehmen, dass es den Tieren beim angeblichen Vertrauensfleischer besser ging als anderswo, weil es bequemer ist.
Wenn man wirklich so über das erworbene Fleisch Bescheid wüsste, müsste man eine ganze Reihe von Fragen beantworten können:
Wo kommt das Fleisch denn genau her? Wie wurde das Tier gehalten? War es männlich oder weiblich? Wie alt war es? Stand das Tier auf der Weide? Wenn ja: Wie oft und wie lange? Wenn nein, warum nicht? Wurde zugefüttert, und wenn, dann was und in welcher Menge? Woher kommt das Futter für die Tiere, wie wurde es angebaut, wurden Spritzmittel verwendet wenn ja: welche? Wurde Medikamente verabreicht? Welche? Wann? Wieviel? Warum? Welche Nebenwirkungen hat das Medikament? Wie viele Tieren haben mit dem einen Tier eine Box geteilt? Gab es Rückzugsmöglichkeiten und wenn ja, welche? Wie weit war der Transport zum Schlachthaus? Wie lange musste das Tier im Schlachthaus warten? In welchem Schlachthaus wurde das Tier getötet? Wie wurde das Tier getötet? Sind beim Töten Fehler oder Aussergewöhnlichkeiten aufgetreten? Wenn so, welche? Und so weiter…
Es ist wohl recht unwahrscheinlich, dass es viele Menschen gibt, die diese Fragen ihrem Metzger schon mal gestellt haben. Und ob dieser die dann alle wahrheitsgemäß beantwortet oder beantworten kann, ist auch noch mal ein anderer Aspekt. Zumal ja beispielsweise in der Wurst meist mehr als ein Tier verarbeitet wurde. Und man würde den Fleischern mit solchen Fragen mehr auf die Nerven gehen, als jeder Veganer das könnte.
Sicherlich kann und sollte man ähnliche Fragen auch bei anderen Produkten stellen. Aber es ist schon interessant, dass man so ein außergewöhnliches Vertrauensverhältnis sonst wohl keinen anderen Händlern zu finden scheint.
Die Welt wäre vermutlich ein besserer Ort wenn alle Menschen einander so vertrauen würden, wie angeblich denen, die für uns Tiere töten.

Hey Veganer, für euch muss man viel mehr Pflanzen anbauen!
Hey Veganer, Jedem das Seine!