Hey Veganer, Ich habe mich nicht an die Spitze der Nahrungskette gekämpft, um Gemüse zu essen!

Transkript

Wenn ein Fleischesser sagt, dass er sich nicht an die Spitze der Nahrungskette gekämpft hat um Gemüse zu essen, dann ist das natürlich erst mal kein ernsthaftes Argument und kein Versuch rational zu debattieren, sondern eher einer der zahlreichen Standardwitze. Oft sind Aussagen dieser Art aber auch mehr oder weniger ernst gemeint und es steckt leider eine ziemlich problematische Überzeugung dahinter.
Zunächst mal hat eine Kette ja nicht wirklich eine Spitze. Aber vor allem sind die trophischen Beziehungen in realen Ökosystemen sind niemals so linear sondern viel komplexer – weshalb man eigentlich von einem NahrungsNETZ sprechen muss.
Das zeigt aber schon, wie begrenzt unsere Wahrnehmung auch in diesem Bereich ist. Man betrachtet damit praktisch nur einen kleinen Teil der den Menschen selbst als „Spitze“ oder „Zentrum“ der Ökologie sieht und blendet die Gesamtzusammenhänge aus. Und die Überzeugung in einem in sich geschlossenen System an der Spitze zu stehen, in dem es auf Dauer ohne katastrophale Folgen gar keine Spitze geben kann, sagt bereits einiges über uns aus. Tatsache ist aber: Wir sind lediglich ein Teil in einem voneinander abhängigem Netz aus komplexen aber empfindlichen Ökosystemen auf wir existenziell angewiesen sind.

So wie der Spruch formuliert ist, soll er ja in erster Linie trotzig und lustig sein. Das geht dann leider zu Lasten der inhaltlichen Richtigkeit denn natürlich hat sich kein einzelnes Lebewesen an seine Stelle der vermeintlichen Nahrungskette „gekämpft“. Der Punkt im Nahrungsnetz an dem es sich befindet, ist kein persönlicher Verdienst sondern Zufall. Ebenso wie ein Mensch zufällig vielleicht ein Mann, zufällig hellhäutig oder zufällig im 20. Jahrhundert oder in Deutschland geboren wurde. Er selbst hat dazu nichts beigetragen. Nichts davon ist ein eigener Verdienst. Es ist nichts schändliches daran, da niemand etwas dafür kann, wo und als was er geboren wurde, aber eben auch nichts worauf man stolz sein sollte oder worauf man sich was einbilden kann.
Vielen Menschen ist gar nicht bewusst welchem Glücksfall sie es verdanken, in ihrer überlegenen Position zu sein. Und sie erkennen das nur auf eine verzerrte und begrenzte Art. Sie glauben – zumindest unterbewusst – die Macht, über die sie verfügen, sei eine Selbstverständlichkeit – verliehen durch göttliche Vorsehung, die wohlwollende Evolution oder – wie in diesem Fall – laut eigener Aussage wohl sogar durch „Kämpfen“, also „eigene Tüchtigkeit“. Und viele Menschen stellen die Ausübung dieser Macht dann eben auch nicht weiter in Frage.
Für das, was man ist, gibt es aber keine Notwendigkeit oder innere Logik. Wenn man das erkannt hat, kann man versuchen, Ungerechtigkeiten oder ungünstige Umstände zu korrigieren und gegen Willkür vorzugehen. Niemand sollte die Macht missbrauchen, die ihm durch einen kosmischen Zufall zugefallen ist. Die Wahrscheinlichkeit, NICHT in der Machtposition zu sein, ist beinahe unendlich größer. Solchen Überlegungen stellt man sich aber meist nur in Fiktionen wie etwa Kinofilmen. Da ist der Mensch manchmal der Unterlegene und befindet sich in der jener Position, in der sich heute die nichtmenschlichen Tiere befinden. Oft sind die Überlegenen Aliens, Monster oder auch Maschinen. Daran erkennt man, dass wir durchaus ein Gespür dafür haben, dass unsere Machtposition Zufall ist. Aber wie so vieles unterdrücken wir das gern, b.z.w. ignorieren die ethischen Implikationen, die sich daraus ergeben würden. In den Filmen sympathisieren wir im Allgemeinen mit den Freiheitskämpfern, die gegen die übermächtigen, selbstsüchtigen Unterdrücker kämpfen und normalerweise sind wir auch nicht der Meinung, dass Macht vor Recht geht. Wir beschweren uns ja auch fortwährend und völlig zu Recht über so ziemliche alle anderen Menschen, die ihre Macht gegenüber Schwächeren missbrauchen. Jedenfalls dann, wenn wir uns als die Opfer fühlen und von der Unterdrückung nicht selbst profitieren.
Außerhalb von Filmen sind wir aber selbst diese Unterdrücker. Und nur wenige Menschen setzen sich für die Unterdrückten ein – in diesem Fall die nichtmenschlichen Tiere. Sieht man, dass Menschen von anderen Menschen, die ihre Macht missbrauchen, unterdrückt werden, ist das Gefühl dass das Unrecht ist, meistens noch stärker ausgeprägt, weil man sich mit diesen Opfern eher identifizieren kann. Auch da sympathisiert man mit den Opfern und lehnt Willkür der Mächtigen ab. Wenn man sich selbst in der Machtposition befindet, erscheint willkürliche Machtausübung aber eben leider oft als probates Mittel und wird nicht hinterfragt, weil man sich dann einredet, dass es so, wie es ist, auch sein soll. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund – und es wäre auch ziemlich arrogant – anzunehmen, dass keine Wesen existieren können oder werden, die dem Menschen in seiner aktuellen Form vollständig überlegen sind. Ob das nun beispielsweise hypothetische Aliens, genetisch verbesserte Übermenschen, Cyborgs oder oder auch künstliche Intelligenzen sind, sei dabei einfach mal dahin gestellt. Und wenn solche Wesen existieren oder selbst, wenn wir einfach nur der Willkür anderer Menschen in einer Machtposition ausgeliefert sind, können wir uns nur wünschen, dass deren Ethik eher der von Veganern und Antispeziesisten als der von einer Ideologie mit so einer Macht-gibt-Recht-Überzeugung entspricht. Und wir sollten hoffen, dass diese nicht damit argumentieren, dass sie nun mal in der Nahrungskette über uns stünden und dass man DARF weil man KANN.

Vielleicht wäre es klüger zu sagen, dass nicht die Fähigkeit zu gewaltfreiem Handeln entwickelt haben, um Willkür mit schlechten Witzen zu rechtfertigen.

Hey Veganer, Ist Sperma vegan?
Hey Veganer, Ihr seid radikal!