Hey Veganer, Ich lasse mir nicht eure Meinung aufzwingen!

Transkript

Wir Menschen neigen dazu, an allen möglichen Stellen unsere Meinung kund zu tun und die Aussagen und Handlungen anderer zu kritisieren. Und das ist prinzipiell auch völlig in Ordnung, wenn es um wichtige Themen geht und man seine Kritik gut begründen kann. Kritik ist wichtig, um Missstände zu beseitigen und es gehört es zum politischen und gesellschaftlichen Miteinander, Meinungen auszutauschen, sie zu kritisieren, sie zu prüfen und im Idealfall seine eigene Meinung dem besseren Argument anzupassen.
Aber wenn wir aber SELBST kritisiert werden, legen wir leider oft andere Maßstäbe an als wenn wir kiritisieren. Wenn ein Veganer den Konsum von Tierprodukten kritisiert, wird das bemerkenswert häufig als das „Aufzwingen von Meinungen“ oder „Meinungsfaschismus“ angeprangert.
Oft passiert das im fortgeschrittenen Stadium von Diskussionen.
Wenn die Rechtfertigungen für das Fleischessen widerlegt wurden, wird oft so eine Art „Notbremse“ in der Diskussion gezogen, die es scheinbar ermöglicht, alle vorherigen Argumente von Veganern für irrelevant zu erklären.
Teilweise wird damit auch vorauseilend versucht, Kritik und Kritiker bereits negativ zu darzustellen und Diskussionen schon im Ansatz abzuwürgen.
Das passiert meist eher reflexhaft als geplant aber oft ist es so, dass Fleischesser sich nicht wirklich intensiv mit den ethischen Auswirkungen ihrer Überzeugung auseinandergesetzt haben, da die Überzeugung, dass Fleischessen in Ordnung ist, ist ja in der Regel eine Meinung ist, die man von klein auf anerzogen bekommt. Und solche anerzogenen Ideologien sind meist tief verankert und werden als völlig normal betrachtet, weshalb man sie nur selten und ungern hinterfragt. Wird man dann mit Argumenten und Aussagen konfrontiert, die diese verwurzelten und eher unbewussten Denk- und Handlungsweisen kritisieren, ist man teilweise überfordert und dementsprechend nicht wirklich in der Lage die eigenen Handlungen argumentativ zu begründen. Und eine der häufigen Reaktionen darauf, ist, dass kurzerhand auf das Recht auf die eigene Meinung verwiesen wird.

Unter einer Meinung versteht man eine Form des Fürwahrhaltens, die eher dem GLAUBEN als einem tatsächlichen WISSEN ähnelt. Wobei es natürlich Übergänge gibt: Es gibt gut belegte und kritisch durchdachte Meinungen die auf harten Fakten und rationaler Schlussfolgerung basieren. Und es gibt am anderen Ende des Spektrums solche, die eher auf Hörensagen, Bauchgefühl, anerzogenen Einstellungen, Vorlieben oder auf Wunschdenken basieren. Viele Menschen haben Meinungen zu Themen, über die sie nicht wirklich etwas wissen. Und je weniger man weiß, um so mehr Meinung hat man leider oft. Und leider fehlt bei vielen Menschen ein aufgeklärtes Verständnis davon, was Meinungsfreiheit bedeutet. Dieses Grundrecht besagt lediglich, dass man jede beliebige Meinung haben und äußern darf. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Meinung gleichermaßen richtig wäre oder dass man jede Meinung UNWIDERSPROCHEN in den Raum stellen könnte; dass also niemand diese Meinung kritisieren dürfe. Im Gegenteil: Meinungsfreiheit gibt einem das Recht, Handlungen die man für unethisch hält, zu kritisieren und sie bedeutet, dass auch Kritik an Meinungen eben nicht unterdrückt wird. Wenn jemand Respekt für seine Meinung einfordert, dann muss er auch die Meinung respektieren, dass seine Meinung „kritikwürdig“ gefunden wird. Die Überzeugung, dass die Ausbeutung und das Töten empfindungsfähiger Lebewesen Unrecht ist und kritisiert werden muss, ist ebenfalls eine Meinung die von der Meinungsfreiheit gedeckt wird.

Ein weiterer ganz gravierender Fehler, der dabei immer gemacht wird: Man setzt Meinung und Handlung gleich. Das Töten und Ausbeuten von Tieren ist aber keine Meinung. Es basiert auf der Meinung, dass dies gerechtfertigt ist, aber es ist eine Handlung. Und eine Handlung ist eben nicht das Gleiche, wie die bloße Meinungsäußerung. Aus der Meinungsfreiheit folgt nicht, dass man alles tun darf. Es bedeutet weder zivilgesellschaftlich noch vor dem Gesetz, dass man alle Handlungen akzeptieren muss, die aus gutem Grund für Unrecht gehalten werden.

Das vielleicht zynischste an diesem Einwand ist aber, dass die Fleischesser, die anprangern, dass man ihnen eine Meinung aufzwingen wolle – in dem Fall die Meinung, dass Gewalt und Ausbeutung aus egoistischen Gründen Unrecht sind – diejenigen sind, die Tieren Gefangenschaft, Gewalt und den Tod „aufzwingen“ und dieses „Aufzwingen“, also diese Handlung, als Meinungsfreiheit bezeichnen oder sie damit rechtfertigen wollen.
Aber selbst, wenn einem Menschen Tierleid egal ist, hat die Meinung, dass es in Ordnung ist, Tiere zu essen auch auf andere Menschen erheblichen Einfluss. Durch unsere Tierausbeutung hier berauben wir auch Menschen in anderen Erdteilen ihrer Existenzgrundlage. Das ökologische Gleichgewicht der Meere wird durch Überfischung zerstört, riesige Flächen Regenwald werden gerodet und massive Sumpflandschaften werden trockengelegt, um Anbauflächen für Futtermittel zu schaffen. Das setzt dann große Mengen Treibhausgase frei, die die Erwärmung des Weltklimas zusätzlich beschleunigen. Und das führt wiederum dazu, dass es weltweit noch mehr Klimaflüchtlinge geben wird – also Menschen, die aufgrund der sich verändernder klimatischer Bedingungen GEZWUNGEN sein sind ihre Heimat zu verlassen, um nicht zu verhungern. Man sollte sich vielleicht die Frage stellen, ob man das Argument, dass man sich keine Meinung AUFZWINGEN lässt, einem solchen Menschen ins Gesicht sagen würde. Wenn aus Meinungen Handlungen folgen, die andere Individuen schädigen, kann man das eben nicht mehr einfach mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen.

Wenn man es drastisch formulieren wollte, könnte man auch sagen: „Wenn jemand ernst genommen werden will, hat er nicht das Recht auf jede beliebige eigene Meinung. Er hat – zumindest in einer gesellschaftlichen Debatte – nur das Recht auf Meinungen, für die er valide Argumente hat.“ Alles andere wäre bloße Willkür. Und gerade die kann im ethischen und politischen Bereich ja niemand wollen. Willkürliche Behauptungen würde man Veganern ja auch ganz schnell heftig ankreiden. Und das völlig zurecht. Die Aussage „Ich habe das Recht auf meine eigene Meinung.“ wird viel zu oft einfach nur verwendet, um Überzeugungen zu schützen, die man nicht rational verteidigen kann. Es wird dann einfach nur eine Umschreibung für: „Ich kann sagen und denken (und demzufolge tun) was ich will und muss dafür keine Argumente liefern!“ Und dass andere sich einem so willkürlich gegenüber verhalten, will ja auch niemand, was dieses Argument so unredlich macht. Zur Verteidigung versuchen viele Nichtveganer vegane Argumente und Handlungen komplett zu zerlegen und irgendwo Fehler und Inkonsequenzen zu finden – aber für sich selbst beanspruchen sie oft einfach nur, eine eigene Meinung haben zu dürfen und gehen davon aus, dass das auszureichen hat.
Veganer werden in diesem Zusammenhang ja auch oft dafür kritisiert, dass sie ihre Meinung für die einzig richtige halten. Das mag für dieses Thema teilweise sogar stimmen, und diese ablehnende Reaktion ist auf emotionaler Ebene schon verständlich. Aber wenn man das zu Ende denkt, ist das kein valides Argument. Es geht dabei ja nicht um Musikgeschmack oder Kleidungsstil wo niemand anders beeinträchtigt wird und wo das tatsächlich absurd wäre. Aber Geschmack und Ethik sind unterschiedliche Kategorien.
Ob Fleisch schmeckt, ist eine Frage des Geschmacks. Ob es Leid verursacht nicht. Das ist ein Fakt. Und ob man das Recht dazu hat, ist eine ethische Frage. Wenn wir nicht völlig gleichgültig und egoistisch sind, haben wir alle auch Meinungen, die ethische Überzeugungen widerspiegeln, die wir in manchem Bereich für alternativlos und für die einzig richtige halten. Diesen Maßstab legen wir dann nicht nur an uns selbst an, sondern auch an andere. Kaum jemand würde wohl sagen, dass das Sklaverei eine Meinung ist, die man respektieren müsse. Weil Sklaverei eben keine individuelle Geschmacksfrage ist, sondern ein Verhalten wodurch objektiv sichtbares Leid an anderen Individuen verursacht wird. Den Begriff „Meinung“ kann man also nicht so undiffernziert verwenden, denn Meinungen reichen von persönlichen Geschmacksfragen, die niemanden weiter schaden, bis zu Grundlagen für Entscheidungen, die gravierende negative Auswirkungen auf andere haben. Das ist beim Konsum von Tierprodukten klar der Fall. Und damit geht einher, dass man die Meinung sehr wohl plausibel „verteidigen“ und nicht nur „haben“ muss. – jedenfalls wenn man erwartet, dass sie respektiert wird.

Natürlich sollte jeder das Recht auf seine eigene Meinung haben. Und in der Regel kann einen hier glücklicherweise niemand davon abhalten, zu denken und zu sagen, was man will, selbst wenn es kompletter Unsinn sein sollte. (Von berechtigten Ausnahmen wie etwa Volksverhetzung natürlich mal abgesehen.) Aber das Recht auf eine eigene Meinung bedeutet nicht, dass man das Recht auf Kritikimmunisierung hat und sich niemandem gegenüber verantworten muss.

Die Meinungsfreiheit ist ein Recht das erst erkämpft werden musste, und zwar nicht von Menschen die die Klappe gehalten haben, um anderen nicht unbequem zu sein. Wenn man
Rechte erkämpfen möchte, wie eben das Recht auf Meinungsfreiheit oder auch Tierrechte, ist es nun mal nötig andere Meinungen die man für Unrecht hält, immer wieder zu konfrontieren.

Hey Veganer, ich akzeptiere eure Meinung auch!
Hey Veganer, Ist Sperma vegan?