Hey Veganer, ihr seid Salat-Nazis!

Transkript

Godwins Gesetz besagt, dass mit der Länge einer Internet-Debatte die Wahrscheinlichkeit eines Nazi-Vergleiches gegen 100% geht. Das ist eher ironisch gemeint und soll auf die Unangemessenheit von Hitler- oder Nazi-Vergleichen in Diskussionen hinweisen. Man kann vielleicht auch sagen: „Wer zuerst Nazi sagt, hat verloren.“
In der Regel wollen Menschen sich mit solchen Vergleichen gegen Kritik immunisieren, Andersdenkende beleidigen und diffamieren, Frust ablassen oder jede weitere Diskussion erschlagen. Oft sind Nazi-Vergleiche leider nur Ausdruck von fehlenden Argumenten, von Diskussionsunfähigkeit, von mangelndem Kritikvermögen und irrationaler Empörung, oder der Versuch, Kritiker und Gegner mundtot zu machen.

Auch Veganer werden oft als „Salat-Nazis“, als „Gemüse-Nazis“ oder „Veganazis“ bezeichnet, bzw. ganz direkt mit Nazis gleichgesetzt
-das Spektrum reicht dabei von einer fragwürdigen Scherzhaftigkeit bis hin zu ernsthaften Unterstellungen, dass Veganer Fleischesser angeblich am liebsten in Vernichtungslager stecken wollen.

Man fühlt sich von Veganern bevormundet und will den vermeintlichen Meinungsfaschismus richtig deutlich anprangern. Zudem kann man mit diesem Kampfbegriff auch ein Bedrohungsszenario und eine Art Täter-Opfer-Umkehr konstruieren. Die Begründung für solche Bezeichnungen ist meistens, dass Veganer, die eigene Überzeugung als die einzig richtige ansehen und keine anderen Meinungen dulden würden.

Der Begriff Nazi wird zwar heute teilweise weiter gefasst und beschränkt sich nicht mehr nur auf Anhänger des Nationalsozialismus von damals und wird meist auch kurz für Neo-Nazis verwendet aber wenn sich ein Argument, wie in diesem Fall, auf „Du bist wie ein Nazi weil du mir was was vorschreiben willst“ reduzieren lässt, ist es Unsinn, denn das ist eine unzutreffende grobe Vereinfachung und Verzerrung davon, was der Nationalsozialismus tatsächlich alles bedeutet.

Außerdem führt diese Aussage dazu, dass im Grunde jedes Gesetz als Faschismus bezeichnet werden müsste, weil hier Menschen anderen Menschen etwas vorschreiben -und zwar viel restriktiver als Veganer das mit kritischen Worten tun. Nach dieser Definition sind Menschenrechtler Faschisten. Denn sie lassen ja auch nur die Überzeugung gelten, dass man Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminieren darf. Und Gesetze gegen Diskriminierung wären somit ebenfalls faschistisch.
Und spätestens das zeigt dann, wie paradox solche Anschuldigungen sind. Zudem wird wohl hoffentlich so ziemlich jeder Mensch Positionen vertreten, die er für alternativlos hält. Beispielsweise dass etwa Sklaverei oder ethnischen Säuberungen niemals akzeptabel sind. Das würde nach dieser Logik jeden zu einem Faschisten machen.
Aber auf jeden Fall definiert man dadurch alle Menschen mit irgendeiner Haltung, die mit der eigenen kollidiert, als Nazis. Darüber hinaus entwertet und trivialisiert man den Begriff damit. Wenn man Nazis darauf reduziert, dass sie andere Meinungen und Handlungen sehr direkt kritisieren, dann ist das nicht nur geschichtsrevisionistisch, man stellt sich zudem dafür, dass man für die Verursachung von Leid kritisiert wird, implizit selbst auf eine Stufe mit Menschen, die in Vernichtungslagern aufgrund ihrer Ethnie umgebracht wurden.

So eine unreflektierte und polemische Verwendung solcher Vergleiche macht es zudem schwierig, tatsächliche Parallelen zum Nationalsozialismus sachlich und reflektiert dort aufzuzeigen, wo es sinnvoll ist. Solche Stellen gibt es ja durchaus. Und es wäre nicht redlich, jeglichen Vergleich von vorn herein abzulehnen.

Gerade dass man sich glücklicherweise weitgehend darüber einig ist, dass der Nationalsozialismus ein grausames und abscheuliches System war, das auf Diskriminierung und Unterdrückung basierte, macht ihn zu einem anschaulichen Erklärungsmodell, um ähnliche, weniger offensichtliche, aber vielleicht ebenfalls bedenkliche Strukturen, Überzeugungen und Handlungen erkennbar zu machen, die möglicherweise nicht als solche wahrgenommen werden.

Dabei muss man natürlich genau darauf achten, dass die Dinge, die man aufzeigen will, auch tatsächlich vergleichbare Ursachen oder Strukturen haben. Es wäre absurd jemanden mit einem Nazi zu vergleichen, weil er wie die Nazis braune Hosen trägt. Aber es kann beispielsweise durchaus legitim sein, Rassismus und Speziesismus gegenüberzustellen, um aufzuzeigen, wo vergleichbare Strukturen vorhanden sind. Man kann damit zeigen, dass die Unterdrückung von Individuen anderer Gruppen, nicht nur auf Menschen beschränkt ist, und auch dort Unrecht ist, und dass diese Unterdrückungsstrukturen leider in einem ähnlichen Herrschafts- und Überlegenheitsdenken begründet liegen.

Wie sinnvoll das ist, steht noch mal auf einem anderen Blatt. Menschen reagieren in der Regel nicht besonders rational auf solche Gegenüberstellungen, auch wenn es überhaupt nicht darum geht, jemand abzuwerten.
Aber sie begeben sich dadurch oft wieder mehr oder weniger reflexhaft in eine Opferrolle, was ja so ziemlich das Gegenteil davon ist, was man damit erreichen sollte. Das bedeutet aber nicht, dass solche Gegenüberstellungen nicht legitim sind.

Während das milliardenfache Töten in den Tierfabriken tatsächliche Gewalt an empfindungsfähigen Lebewesen darstellt, benutzen Veganer in erster Linie nur Worte, um das zu kritisieren. Die Nazis sind nicht dafür bekannt, ihre Opfer totgequatscht zu haben. Sie haben Gewalt und Oppression verwendet. Sie waren für Deportationen, Hinrichtungen, Menschenversuche und andere Grausamkeiten verantwortlich, nicht für den Versuch, Menschen davon zu überzeugen, wehrlose Individuen zu verschonen und Individuen die nicht zur eigenen Gruppe gehörten, ebenfalls grundsätzliche Rechte zuzugestehen.
Was Veganer sagen, ist folgendes: „Hör auf, leidensfähige Lebewesen aus trivialen, unnötigen und egoistischen Gründen töten zu lassen. Hör auf andere Lebewesen als minderwertig zu deklarieren und sie auszubeuten.“ Das ist das genaue Gegenteil von Faschismus. Während Nazis meist Rassisten sind, sind Veganer im Allgemeinen das genaue Gegenteil. Sie sind nicht nur Anti-Rassisten. Sie sind Anti-Speziezisten: Veganismus fordert, allen leidensfähigen Lebewesen, unabhängig ihrer Art, die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse teilwerden zu lassen. Das könnte von faschistoidem Gedankengut kaum weiter entfernt sein. Es ist schon sehr absurd, wenn man Menschen, die sich nicht nur für sich und die eigene Art, sondern für alle empfindungsfähigen Lebewesen einsetzen, mit solchen gleichsetzt, die auf der Grundlage einer selbstherrlichen Ideologie der eigenen Überlegenheit Millionen Menschen brutal ermordet und die einen Vernichtungskrieg angezettelt haben, weil sie sich für die einzig wertvolle Art hielten.

Natürlich kann leider auch ein Antispeziezist trotzdem ein Rassist sein. Es ist aber auf dieser Grundlage deutlich schwerer und erfordert noch mehr Ignoranz als Rassismus allein. Und leider gibt es tatsächlich auch Veganer mit nationalistischer Gesinnung bzw. Neo-Nazis, die den Veganismus für ihre Überzeugung zu instrumentalisieren versuchen, wie das von Nazis traditionell mit so ziemlich allem versucht wird. Und natürlich muss das kritisiert werden. Das sagt aber nichts über den Veganismus aus sondern etwas über diese Personen.

Und die meisten Rechten bezeichnen Menschen wie Veganer zudem ziemlich klar als linksgrünversiffte verschwulte Gutmenschen-Antifanten. Der Großteil aller Nazis sind und waren Fleischesser. Es wäre aber ziemlich grotesk, deshalb pauschal alle Nichtveganer als Nazis zu bezeichnen. Ähnlich absurd ist das bei Veganern.

Diskussionen um Werte und Moral gehören jedenfalls zu einer lebendigen Demokratie dazu. Genauso wie Kritik am eigenen Verhalten. Kritik ist keine Unterdrückung. Diesen Dingen muss man sich stellen. Das muss man aushalten. Und daran muss man sich beteiligen. Klagen, dass man „gezwungen“ wäre, seine Meinungen & Handlungen zu überdenken, und das als Faschismus zu bezeichnen, zeugt von einem mangelhaften demokratischen Grundverständnis. Und auch, wenn das vermeintliche Privileg, andere empfindungsfähige Individuen auszubeuten und töten zu dürfen, in Frage gestellt wird, ist das kein Faschismus, sondern so ziemlich das Gegenteil davon. Demokratie bedeutet nicht, alles tun und bekommen zu können, was man will und immer im Recht zu sein. Und sie bedeutet auch nicht, vor jeglicher Form von Kritik gefeit zu sein. Demokratie bedeutet, das Kritik ausdrücklich erlaubt ist. Insbesondere wenn man Dinge für Unrecht hält.

Hey Veganer, Fleisch essen ist legal!
Hey Veganer, leben und leben lassen!