Waldi süßsauer auf Reis

Mahlzeit miteinander. Diesen Monat ist es wieder soweit: Im chinesischen Yulin findet, wie jedes Jahr seit 2009, das als Hundefleisch-Festival bekannte Stadtfest statt, bei dem es eben im Wesentlichen um Hundefleisch geht. Und Deutschland reagiert darauf traditionell mit dem „Empör-Festival“, einer online ausgetragen Wettkampf-Veranstaltung, welche sich unter ambitionierten Entrüstern großer Beliebtheit erfreut.

Berichten zufolge sieht es aber so aus, dass es auf dem Stadtfest dieses Jahr aus Hygienegründen doch kein Hundefleisch geben wird. Das sorgt für Panik bei den Nachrichtenmagazinen. Hatte man sich doch schon die guten Substantive zurechtgelegt: Schande, Entsetzen, Grauen, Horror… Also macht man halt aus den Berichten vom letzten Jahr noch mal was. Unter diesen Berichten empört man sich das schon mal warm -oder geradezu heiß.

Andere Länder: Hund mit Fritten

Nun haben wir Menschen uns als Spezies ja erfolgreich an die Spitze der Nahrungskette gefressen. Und dabei haben wir uns ordentlich Hirn zugelegt, mit welchem wir zu außergewöhnlichen Leistung fähig sind. Unter anderem auch zu außergewöhnlicher Empörung, -beispielsweise darüber, dass ich gerade „fressen“ geschrieben habe, obwohl wir doch selbstverständlich „essen“. Wir sind ja schließlich nicht irgend ein dahergelaufenes unzivilisiertes Tier. Wir sind der Homo Sapiens! Sapiens bedeutet „weise“. Dieses Prädikat wurde dem Menschen natürlich nicht einfach so verliehen von… naja… also von sich selbst im Grunde. (Wenn man nicht alles selber macht…) Wir fanden das dann jedenfalls sogar so gut, dass wir einfach noch ein „sapiens“ angehängt haben: „Homo Sapiens Sapiens“ nennen wir uns also jetzt. Damit auch der letzte kapiert, wie clever wir sind.

Und was hat der homo sapiens?! Recht hat er! Und zwar jede Menge. Das Recht des Stärkeren zum Beispiel. Und da wäre es doch geradezu ein Verstoß gegen das Naturgesetz, dieses nicht anzuwenden. Also tun wir das und überlegen uns allerlei Möglichkeiten, Tiere zu essen! Wir können jedes Tier vertilgen, weil wir stärker sind. Eigentlich doch ein einleuchtendes Konzept, oder? Aber dann gibt es leider immer wieder auch nervige Menschen, die ihr Hirn nicht vorschriftsmäßig benutzen, und sich „verdenken“. Sie meinen dann,  dass „jedes Tier“ auch Hunde einschließt.
Verschiedene deutsche Teams treten daher an, um die lieb gewonnene Tradition zu pflegen, sich mittles ihrer naturgegebenen Hirne so richtig zu empören. Über China -und übereinander. Denn Hunde essen? Das ist krank™ und pervers™ und nicht normal™.

is‘ Recht so!

Wir haben hier in Deutschland ein humorvoll so genanntes „Tierschutzgesetz“. Darin steht:
„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
Ethisch und moralisch sind wir da ganz weit vorn. „Wie soll man die denn dann naturgesetzesgemäß essen?“, mag sich der ein oder die andere jetzt fragen. „Es gibt ja solche Spinner, die behaupten, es würde Tieren schaden, wenn man sie tötet und isst.“ Aber nur keine Sorge: Nahrungsaufnahme gilt natürlich als vernünftiger Grund. Doch da man keine Tiere essen muss um gesund zu leben, tut man das dann nicht aus Notwendigkeit, sondern nur, weil man es will. Daher gilt „Weil ich es will!“  als „vernünftiger Grund.“ Unser Tierschutzgesetz lautet also:

„Du darfst keine Tiere töten, außer wenn du es willst!“ (Aber wirklich nur dann. Da sind wir unerbittlich! Gesetz ist Gesetz!)

Grundsätzlich ist das ja brillant und ein weiterer Beleg für unsere krasse Hirnigkeit: Wir haben ein Gesetz, das jedem der mal eben drüber liest, ein ehrfürchtiges „Whoa!“ abnötigen muss, angesichts unseres konsequenten, selbstlosen und uneigennützigen Einsatzes für den Schutz unserer schwächeren und wehrlosen Mitgeschöpfe. Der Clou ist aber eben, dass es so clever formuliert ist, dass es in Bezug auf den Tierschutz die Tinte nicht wert ist, mit dem es unterschrieben wurde. Ansonsten würde es am Ende wirklich noch verhindern, dass wir Tiere essen können, falls wir uns entschließen sollten, es ernst zu nehmen. Und das wäre ja schon eine gewisse Unannehmlichkeit. Aber vor allem stünde es in Konflikt mit dem Recht des Stärkeren. Schließlich ist das ein Naturgesetz. Und das nehmen wir ernst. So ernst, dass wir das sogar als die Pflicht des Stärkeren betrachten, die Schwachen zu essen. Außer Hunde natürlich.

Da gibt es dann nur leider ein Problem. Durch diese Formulierung halten die Chinesen sich ja ebenfalls gewissenhaft an unsere strengen gesetzlichen Tierschutzstandards. Sie fügen Tieren ja auch nur dann Schaden zu, wenn sie es wollen. Viel mehr kann man im Grunde nicht verlangen. Und wenn dann rauskommt, dass wir ja eigentlich gar keine Grundlage haben uns zu empören (nicht dass wir eine brauchen), dann müssten wir uns noch viel mehr empören, um davon abzulenken. Aber hirngesegnet wie wir sind, haben wir weiter unten einfach noch paar witzige Paragraphen reingepackt. Insbesondere einen, der sich zusammenfassen lässt als:

außer Hunde! Hah!

Es steht da natürlich keine brauchbare Begründung oder sowas dabei. Das steht da halt so drin. Weil wir es können. Der obere Teil klingt trotzdem noch ehrfurchtgebietend und zivilisiert. Und die Chinesen können noch nicht mal was sagen. Denn unser Tierschutzgesetz ist ja ein sogenanntes „Gesetz“. Und Gesetze sind unveränderlich, verbindlich, korrekt und können schon rein logisch nicht unmoralisch sein -solange man die persönlich gut findet. Wenn man sie NICHT gut findet, handelt es sich selbstverständlich um Diktatur und irgendwas mit Meinung aufzwingen und so. Wer erinnert sich nicht zornig an jenen vorgeschlagen freiwilligen Veggie-Day, der in der kollektiven Seele der omnivoren Community bis heute tiefe Wunden und Traumata hinterlassen hat -irgendwo unter ganz viel nachhaltiger, wiederverwendbarer Empörung und dem ganz sicheren Gefühl hier total das größte Opfer von Unterdrückung, Bevormundung und Despotismus zu sein. Und Gefühle lügen nicht -die Empörung am allernichtesten. Denn schließlich war das damals … naja total hitler im Grunde. (Ja, das ist ein Adjektiv und ich finde das gut so!)

Doch schalten wir jetzt zu den laufenden Vorbereitungen für das Empör-Festival.

Wett-Entrüsten

Wie jedes Jahr zahlreich dabei: Die fleischessenden Haustierschützer. Diese haben sich der Aufgabe verschrieben, den Chinesen zu erklären, dass sie statt Hunden endlich die richtigen Tiere essen sollen: Rinder, Hühner, Schweine… so wie  normale Menschen. Erneut mit ihrer bewährten Taktik: „Das ist nun mal so. Was hat mein Fleischessen damit zu tun? Ich tu‘ wenigstens etwas, um Hunde zu retten, wenn ich auf Facebook diesen kranken Schlitzaugen den Tod wünsche! Für diese ehrenamtliche Mühe darf man dann wohl auch mal einer paar Nutztiere essen. Ich esse doch schon die blöden hässlichen Viecher, die dafür da sind -und keine süßen Hunde. Was wollt ihr denn noch?“

Die Teilnehmer der Gruppierung „Die Aufgeklärten“ versuchen hingegen, allen Teilnehmern zu erklären, was alle Teilnehmer hier eigentlich meinen. „Es geht doch niemandem ums Hunde essen. Es geht ums Quälen! Es geht doch niemandem ums Hunde essen. Es geht ums Quälen! UMS QUÄLEN GEHTS!…“ Sie wirken dabei, als hegten sie eine tiefe Sehnsucht nach dem Tag, an dem sie auf der Straße voller Glückseligkeit und Dankbarkeit einem milde lächelnden Menschen in die Arme fallen -in dessen Hand die ersehnte Petition zur Legalisierungen der industriellen Hundefleischproduktion in Deutschland- schluchzend und voller Glück und Dankbarkeit: „ENDLICH! GERECHTIGKEIT! TOD FÜR ALLE!“

Nun ist es wohl so, dass einigen Homo Sapiens beim nachdenklichen Herumkauen (mit Reißzähnen von Natur™) auf einem ethisch einwandfreien (sprich: hundefreien) Stück Fleisch auffällt, dass… naja ok… hauptsächlich dass er immer total benachteiligt und bevormundet wird -aber dass er selbst mächtig anständig ist, während die meisten anderen Leute unmoralische Barbaren mit echt beschissenem Musikgeschmack sind… Aber irgendwo aus dem kognitiven Keller-Kerker morst das angekettete und geknebelte (schl)echte Gewissen gegen den Heizkörper und klopft irgendwas davon, dass die so selbstzufrieden vertretene Haustierschutzmentalität auf einer genauso weitgehend willkürlichen Haus-Nutztier-Festlegung basiert wie in China. Denn inzwischen wissen ja immer mehr Menschen, dass die hier getöteten Schweine intelligenter sind als Hunde (nicht dass Intelligenz ein zwingendes Kriterium sein müsste). Oder dass sie mindestens so freundlich, verspielt und zutraulich sind, wenn man sie lässt. Und ärgerlicherweise sind unter den Teilnehmern des Empör-Festivals auch Spielverderber, die genau darauf hinweisen. Bei dem Versuch, Hunde als grundsätzlich wertvoller und schützenswerter als Schweine zu verargumentieren, greifen die Vertreter dieser Ansicht daher auf zunehmend verzweifeltere und absurdere Unterscheidungsversuche und Begründungen zurück:
„Hunde zeigen mehr Gefühl als andere Tiere!“ (Esst mehr Autisten!), „Hunde sind der beste Freund des Menschen!“ (Esst mehr einsame Leute!) „Hunde leben in Wohnungen!“ (Esst mehr Obdachlose!)
Also muss man sich rückwirkend eine andere „Ursache“ für seinen heiligen Zorn der Gerechten ausdenken. Und so scheint auch der Versuch besonders verbreitet zu sein, zu argumentieren, dass nicht das Töten kritisiert werde, sondern nur die Quälerei. Nun mag es Menschen geben, die das wirklich so sehen. Schließlich spielt es ihnen ja auch in die eigene Fleischesser-Tasche. Doch die wenigsten dieser Menschen würden sicherlich freundlich grüßen, wenn auf dem Marktplatz jemand Katzen (leidfrei!) einschläfert, weil das sein Hobby ist und weil ja vielleicht auch ein paar andere Menschen daran Freude haben könnten und ihm dafür ein paar Münzen in den Hut werfen. Für all die Menschen, die das nicht ebenfalls völlig okay finden, hat das Leben für die Tiere dann offenbar doch einen Wert. (Wenngleich dieser wohl niedriger ist. als der des eigenen Appetits oder dann eben ignoriert wird.) Und gerade bei den zahlreich vertretenen Haustierschützern, die sich nicht etwa FÜR sondern GEGEN das Einschläfern von Straßenhunden einsetzen, ist das schlicht unglaubwürdig und dürfte eben nicht viel mehr sein, als eine nachträgliche Rationalisierung für die Legitimität der eigenen Entrüstung. Aber was will man machen? Man will Hunde retten und Schweine essen und muss es irgendwie hinbiegen. Und so vollführt man teils fluchend und zeternd einen bizarr anzusehenden, schriftlichen Ausdruckstanz mit orthopädisch sehr bedenklichen argumentativen Verrenkungen. Zumindest temporär, bis lästige kritische Stimmen weiter gezogen sind und man sich endlich wieder auf das berufen kann, was gefälligst als Begründung auszureichen hat: Empörung!

Grenzwerte

Und da sehen wir eine weitere große Gruppe von Teilnehmern, deren Aufgeklärtheit, Besonnenheit und Rationalität man einfach bewundern muss. Jedenfalls nach Einschätzungen dieser Gruppe.
Denn sie haben verstanden worum es geht: Toleranz! … Haha. Was? Nein… Doch nicht  für das Leben oder die Freiheit oder die Bedürfnisse von Tieren. So was albernes! Also echt mal. „TOD für alle…“ Das macht Sinn. „Toleranz für alle?“ Also wirklich… Toleranz muss auch Grenzen haben. Und zum Glück wissen diese Toleristen auch genau wo diese Grenzen hingehören: Da, wo sie für ihre virtuosen und ergreifenden Ausführungen über die Toleranz sehr viel Beifall erwarten können. Man erkennt die „Toleristen“ leicht an ihren zahlreichen scharfsinnigen Aphorismen, wie etwa „Andere Länder, andere Sitten“ und… naja… also nur an „Andere Länder, andere Sitten“ eigentlich. Ende der Liste. Die Grenze der Toleranz verorten sie zufällig jedoch verbindlich gerade da, wo diese dafür sorgt, dass man selbst gerade töten lassen und vertilgen kann, was lecker sein könnte. Schlecht für die Tiere natürlich. Dumm gelaufen. Aber Toleranz gibt’s nun mal nicht geschenkt.
Und wer in anderen Kulturen so getötet wird, geht uns doch nichts an. Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt  jeder Art sind folkloristische Eigenheiten, Tradition und Kulturgut, wenn sie nicht im eigenen Lande geschehen -oder kurz gesagt: „Sitten!“ Da hat man nichts zu kritisieren. Eine solche Meinungs-Befugnis endet an der eindeutigen und unveränderlichen Staatsgrenze, da wo eben praktischerweise auch trennscharf die anderen Sitten anderer Länder anfangen. Bevor man irgendwem also gegen ein so genanntes „Unrecht“ beizustehen versucht, sollte man erst mal seine Nationalität prüfen, um zu erkennen, ob man eingriffsberechtigt ist. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen und wahllos herumhelfen. Denn in den Kommentarspalten melden sich auch noch intolerante Menschen, die den Chinesen nicht nur das Töten von Hunden übel nehmen, sondern sogar Chinas Entscheidung, Menschen zu töten partout nicht tolerieren wollen und sich anmaßen, zu wissen, was da besser ist. Aber nachher verhindert man als Nichtchinese vielleicht wirklich noch den Tod von Menschen in China und dann stellt sich raus, wie kulturell intolerant und anmaßend das war. Diese Blamage möchte man sich wirklich ersparen. Für Hilflose und Unterdrückte einzustehen und sich gegen Gewalt zu engagieren, hat sich ausschließlich auf den eigenen Kulturkreis zu beschränken, welcher in der Regel glücklicherweise einfach an der Staatsgrenze endet… oder an der Sprachraumgrenze… oder an sonstigen, vom Toleristen entsprechend der argumentativen Anforderungen dynamisch zu wählenden anderen Grenzen.
Menschen sind einfach unterschiedlich. Manche mögen traditionelle Trachten, andere Kindersklaven in Sweatshops. Das ist da so Sitte und Tradition. Und diese sollten bewahrt werden.

Gelassene Gleichgültigkeit demonstriert die Teilnehmergruppe „Höhlentrolle“. Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen haben die Höhlentrolle es nicht nötig, so etwas wie Empathie auch nur vorzuspielen. Dass sie zünftige Höhlenmenschen als ihre erklärten Vorbilder betrachten, ist auch für das ungeübte Auge leicht erkennbar. Ihre Sprache besteht zum Großteil aus Fleisch-Vokablen unter welche sich gelegentlich andere Worte mischen. Damit versuchen sie stolz zu kommunizieren, wie sie sich kreuz und quer durch die komplette Nahrungskette fressen. Selbstbewusst trommeln sich die Höhlentrolle für  ihre vermeintlich naturnahe Lebensweise auf die Brust -auf Facebook.

Und natürlich nerven auch sie wieder intolerant herum… man fragt sich, wie sie sich überhaupt herschleppen konnten: die pflanzenfressenden Evolutionsverweigerer… Was für ein absurder Haufen. Nicht nur, dass sie denn Sinn des Empör-Festivals gar nicht verstehen und statt der chinesischen auch noch unsere Kultur kritisieren wollen. Sie reden auch völlig irrwitziges Zeug: Dass man Tiere einfach mal gar nicht töten sollte. Und dass man Leid und unnötiges Töten vermeiden sollte -also nicht nur für Hunde, sondern auch… für Schweine und so? Wir? Hier bei uns? Ne… Ich versteh’s echt nicht. Sorry. Eine möglichst gerechte Welt mit möglichst wenige Gewalt? Und als Pflicht des Stärkeren erachten sie nicht, dass man die Schwächeren isst, sondern sie schützt? Hä? Das macht alles überhaupt keinen Sinn. Was wollen die überhaupt schon wieder hier? Und wer hat die denn nach ihrer Meinung gefragt? Können die andere nicht einfach in Ruhe lassen und sich nicht ständig über alles empören? Leben und leben lassen? Jedem das seine? Wie wär’s denn mal damit? Diese Spaßbremsen haben wieder die komplette Stimmung versaut. Und dann wird das Empör-Festival vielleicht auch dieses Jahr noch komplett ins Wasser fallen, weil man in Yulin dieses Jahr darauf verzichten will Hundefleisch zu essen. Das ändert dann zwar nichts an der Zahl der gegessen Tiere. Aber wenigstens essen sie jetzt die richtigen.

 

Studie: Fleischkonsum verursacht Psychokarnismie